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Geheimnisvolle Madonna

Faszinierendes Schönheitsideal aus dem 15. Jahrhundert

„Ein abscheuliches Gemälde, das man am Besten in einer dunklen Ecke versteckt, wenn man es nicht gleich ganz wegwirft”, meinte der Kunstkenner Sulpice Boisserée und bezog sich dabei auf eines der bedeutendsten Werke von Jean Fouquet: die Madonna umgeben von Seraphen und Cherubinen.

Im 19. Jahrhundert verschmäht, im 21. Jahrhundert ein Unikum

Boisserée brachte seinen Kommentar 1844 zu Papier. Danach hörte die Welt jedoch nicht auf, sich zu drehen, denn heute gilt Fouquets Tafelbild als Unikum und absolutes Meisterwerk der europäischen Kunst des 15. Jahrhunderts und wird sehr geschätzt. Dass diese Madonna die Gemüter bewegt, steht außer Zweifel. Ein einziger Blick auf das Gemälde genügt, um zu verstehen, warum. Es ist diesem verflixten Fouquet wahrhaftig gelungen, das Unwirkliche wirklich zu machen. Aber auch umgekehrt wird ein Schuh daraus. Es scheint einfach kein Adjektiv zu geben, das dieses Werk auf überzeugende Weise beschreibt. Kühl gehört genauso in die Liste möglicher Begriffe wie warmherzig, aber auch klassisch und modern, monumental und intim, sowie realistisch und verträumt wären treffend.

 

Mathematik und Ölfarbe

So ein Meisterwerk entsteht natürlich nicht aus dem Nichts. Als Fouquet um 1455 seine Madonna malte, war in der europäischen Malerei so einiges los. Im Süden beriefen sich italienische Meister bei ihrer Arbeit immer häufiger auf mathematische Prinzipien. Ein besseres Verständnis der Grundregeln der Perspektive führte zu Gemälden mit einer bis dahin unbekannten Tiefenwirkung. Im Norden hingegen experimentierten die Maler mit Ölfarbe, die nur sehr langsam trocknet. Dadurch konnten sie ihre Werke Schicht für Schicht bis ins kleinste Detail aufbauen und auf diese Weise Porträts, Stoffe, Rüstungen und Perlen auf eine umwerfend realistische Weise darstellen.

 

Überirdische Schönheit

Fouquet war gut über die Trends seiner Zeit informiert und berief sich bei seiner Madonna auf zwei einflussreiche Strömungen. Die reinen Formen und die Perspektive sind italienisch, die realistische Darstellung stammt aus den Niederlanden. Verbindet man damit die Virtuosität, sowie die künstlerischen Fähigkeiten des Meisters, dann wird daraus ein Erdrutsch in der französischen Porträtmalerei. Während vorher am laufenden Band idealisierte Marien produziert wurden, verlieh Fouquet seiner Maria die Gesichtszüge ein richtigen Frau. Agnès Sorel, die verstorbene Geliebte des französischen Königs Karl VII., war in jener Zeit für ihre fast überirdische Schönheit bekannt und Fouquet gelang es, ihr die gebührende Ehre zu erweisen. Die Madonna wirkt weiß und streng wie eine Marmorskulptur und verkörpert das weibliche Schönheitsideal des 15. Jahrhunderts: eine hohe Stirn, extrem weiße Haut, rote Lippen, eine schmale Taille und weit auseinanderstehende Brüste.

 

Madonna trifft Tolle Grete

Jean Fouquets meisterhafte Madonna ist heute eine der Gastgeberinnen der Ausstellung „Madonna trifft Tolle Grete” im Antwerpener Museum Mayer van den Bergh.